Stellungnahme Zoom

Stellungnahme der E-Learning Strategiegruppe der österreichischen Pädagogischen Hochschulen (PHeLS) zur Empfehlung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Verwendung von Zoom an Pädagogischen Hochschulen

Veröffentlicht am Donnerstag, 23. April 2020

Auf der Website des Ministeriums wird seit 17.04.2020 darauf hingewiesen, dass von der Verwendung der Videokonferenzsoftware ZOOM an Schulen aus datenschutzrechtlicher Sicht abgeraten wird. Im nächsten Absatz wird die Verwendung der PRO-Version an Pädagogischen Hochschulen nur unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig bezeichnet.

Die Begründung für diese Empfehlung fällt überraschend kurz aus: “Ein Einsatz wäre nur zulässig, wenn alle Anforderungen der DSGVO eingehalten werden würden. Dies erscheint aus Sicht des BMBWF unter Berücksichtigung der Medienberichte derzeit für einen Einsatz im Bildungsbereich nicht hinreichend sichergestellt.”

Als E-Learning-Beauftragte der Pädagogischen Hochschulen weisen wir darauf hin, dass eine solche Empfehlung in der derzeitigen Situation weitreichende Folgen haben wird: In den Schulen wird ZOOM nicht mehr eingesetzt werden; und auch wenn in den Pädagogischen Hochschulen die Verwendung unter Berücksichtigung der Auflagen noch “geduldet” wird, so sind dennoch alle Lehrenden und Studierenden, die ZOOM derzeit tagtäglich nutzen, durch eine solche öffentliche Stellungnahme des BMBWF sehr stark verunsichert (neun von 14 Pädagogischen Hochschulen verwenden derzeit ZOOM als wesentliche Säule des Online-Lernens neben dem üblichen Einsatz von Lernplattformen).

Aus unserer Sicht erscheint die auf der Webseite des BMBWF formulierte Empfehlung in Bezug auf die Verwendung von ZOOM in dreierlei Hinsicht bedenklich:

  1. Auch wenn Datenschutz- und Sicherheitsaspekte ein wesentlicher Punkt in der Beurteilung von Software für den Einsatz zu Unterrichtszwecken sind, sollte eine Empfehlung des Bundesministeriums in der Entscheidungsfindung verschiedene Aspekte beinhalten (pädagogisch-didaktische, Qualität der Anwendung, Kosten-Nutzen-Überlegungen, …). Es sollten unseres Erachtens auch die besonderen derzeitigen Umstände berücksichtigt werden – also die Notwendigkeit der Umsetzung von Distance Learning und Home Schooling in Zeiten einer Corona-Pandemie.

  2. Softwareempfehlungen sollten generell kriterienbasiert zu jeweiligen Softwaretypen formuliert werden und sich nicht auf einzelne Softwareprodukte beziehen, es sei denn, es gibt strategische Entscheidungen des BMBWF für selbstgehostete Eigenlösungen oder Rahmenverträge mit Anbietern.

  3. Softwareempfehlungen und -warnungen sollten insbesondere weder unter hohem Zeitdruck getroffen werden noch “unter Berücksichtigung von Medienberichten”, sondern im Anlassfall unter Einholung einer möglichst breiten und fundierten Analyse.

Es entsteht der Eindruck, dass vor dem Hintergrund der medialen Berichterstattung rund um Datenschutzbedenken bei der enorm steigenden Verwendung von ZOOM während der CoVid19-Ausnahmesituation diese drei aus Sicht der PHeLS-Gruppe wichtigen Prinzipien nicht berücksichtigt worden sind und – vermutlich auf Vorschlag des zuständigen Datenschutzbeauftragten – sehr schnell Empfehlungen formuliert wurden, die aus datenschutzrechtlicher Perspektive zwar nachvollziehbar sind, aber aus gesamtheitlicher Perspektive fraglich erscheinen und zu Verunsicherung bei Lehrenden, Lernenden und Eltern führen.

Die Mitglieder der PHeLS-Gruppe sind seit Auftauchen der ersten Medienberichte zu den Sicherheits- und Datenschutzbedenken von ZOOM in ständigem Austausch, recherchieren und analysieren die verschiedenen Berichte, erweitern die eigene Expertise durch Befragung von Expert*innen zu technischen und juristischen Details, holen Auskünfte direkt bei ZOOM ein bzw. verfolgen deren PR-Kommunikation, nehmen am medialen Diskurs teil usw., um unseren jeweiligen Rektoraten eine gute Entscheidungsgrundlage zu liefern, ob ZOOM weiterhin verwendet werden kann. Wir sind nach den unmittelbaren, schnellen und guten Reaktionen des Unternehmens ZOOM und unter Gesamtbeurteilung der Sachlage bisher zu dem Schluss gekommen, ZOOM weiterhin zu empfehlen – und zwar jede Hochschule für sich, und auch die PHeLS-Gruppe als Gremium. Wir sind insbesondere der Auffassung, dass ZOOM bei einer sachgemäßen Verwendung hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz in den dafür wesentlichen Aspekten nicht schlechter als andere Anbieter (proprietäre und Open Source) zu beurteilen ist.

Die Formulierung auf der Webseite des BMBWF erweckt den Eindruck, als würden einerseits unreflektiert Aussagen aus Medienberichten übernommen, ohne den aktuellen Status dieser Software von IT-Expert*innen und Jurist*innen selbst genau überprüfen zu lassen; so erfolgte beispielsweise auch keine Einbindung der PHeLS-Gruppe. Und es erscheint, als würde andererseits mit zweierlei Maß gemessen, was die Anwendung der strengeren EU-Regeln hinsichtlich Datenschutz auf verschiedene Anbieter von Videokonferenzsystemen betrifft. In der Zwischenzeit finden sich neben eher reißerischen Medienberichten vieler Zeitungen auch sehr genau recherchierte Analysen von Expert*innen im Netz, siehe beispielsweise:

Auch zahlreiche Institutionen im deutschsprachigen Raum haben ZOOM einer eingehenden Analyse unterzogen, teilweise unter Beiziehung von Rechtsgutachten:

  • Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen, “Videoconferencing”: hier werden zahlreiche Lösungen gegenübergestellt; BigBlueButton als Open-Source-Lösung wird präferiert, wobei Performance-Probleme bei größeren TN-Zahlen attestiert werden. Die proprietären Anbieter werden grundsätzlich als datenschutzrechtlich bedenklich eingestuft, allerdings wird in der Gesamtbeurteilung dennoch ZOOM empfohlen und als Alternative zu BigBlueButton in einer Campuslizenz angeboten.
  • Die RWTH Aachen, die insgesamt eher für selbstgehostete IT-Lösungen bekannt ist, hat sich sehr intensiv mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Systeme auseinandergesetzt und aktuell eine bewusste Entscheidung für ZOOM ausführlich begründet.
  • DieHumboldt Universität Berlin, Interview mit dem Direktor der Zentraleinrichtung für Computer und Medien, triftt ebenfalls eine bewusste Entscheidung für ZOOM in der Campuslizenz.

Das Credo in diesen Darstellungen: Aufgrund der raschen und guten Reaktion der Unternehmensführung von ZOOM sind viele kritisierte Aspekte inzwischen ausgeräumt; einzelne Aspekte sind (noch) nicht zufriedenstellend umgesetzt, das leisten aber auch andere Anbieter, proprietär und Open Source, nicht. ZOOM bietet insgesamt einen herausragenden Funktionsumfang mit zahlreichen Aspekten, die insbesondere beim Einsatz in der hochschulischen Lehre gegenüber Mitbewerbern hervorstechen.

Demgegenüber stehen nach wie vor eher skeptische Positionen von Datenschutzbeauftragten, siehe beispielsweise die Empfehlungen der Datenschutzbeauftragten für Berlin (Stand 31. März 2020). Hier werden insgesamt eher strenge Regeln angewandt, die von so gut wie keinem webbasierten Videokonferenztool zu leisten sind, und Vorschläge unterbreitet, die zumindest im Bildungsbereich als Alternative unrealistisch sind, wie beispielsweise die Verwendung von Telefonkonferenzsystemen. Allerdings werden in diesen Empfehlungen keine einzelnen Anbieter bewertet, sondern Kriterien für eine datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit formuliert.

Entscheidung für ZOOM

Die Pädagogischen Hochschulen, welche ZOOM schon über mehrere Monate, teilweise über mehrere Jahre im Einsatz haben, haben vor der Entscheidung für diese Software verschiedenste Produkte, deren technischen Stand und auch datenschutzrelevanten Aspekte verglichen und geprüft, evaluiert und in Abstimmung mit den Datenschutzansprechpersonen der Hochschulen die Anschaffung beschlossen. Wichtige Entscheidungskriterien waren u. a. die sehr gute Audio- und Videoqualität, die Stabilität der Sitzungen auch bei sehr hohen Teilnehmer*innenzahlen, die sehr einfache Bedienbarkeit und damit der niederschwellige Zugang für Lehrende wie Lernende, sowie ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis bei den Lizenzmodellen.

Daneben bietet ZOOM als fast alleiniger Anbieter einige Features, die aus pädagogisch-didaktischer Perspektive besonders wertvoll sind, beispielsweise die Realisierung von Online-Gruppenarbeiten über Breakout-Sessions. Inklusionsexpert*innen heben hervor, dass Zoom die einzige Software aus diesem Bereich ist, die für Sehbehinderte gut verwendbar ist, weil sie alternativ komplett über Tastaturkürzel steuerbar ist.

Zum Thema Sicherheit von ZOOM

Die Sicherheitsprobleme, die in den Medien angesprochen worden sind, waren teilweise auf falsche oder fehlende Einstellungen bei den Nutzerinnen und Nutzern zurückzuführen oder sind zwischenzeitlich durch ZOOM behoben worden. ZOOM reagiert laufend durch neue Updates. Hier einige Beispiele:

  • ZOOM-Bombing – mit entsprechenden Einstellungen behoben, war nie ein Problem der Software, sondern eines der Bedienung.
  • Weitergabe von Daten an Facebook – behoben (natürlich nicht, wenn man sich mit seinem Facebook Account anmeldet).
  • Datenlücke in iOS App – behoben.
  • Ungenaue Datenschutzformulierungen auf Website – korrigiert.
  • Aufmerksamkeitstracking – mit 02.04.2020 entfernt.
  • Auswahl eines europäischen Datencenters für Meetings durch den User – ab 18.04.2020 möglich.
  • Beim Vorwurf bzw. der Klage in den USA zur unüblichen Verwendung des Begriffes “End-to-End-Verschlüsselung” durch ZOOM geht es um einen möglichen unzulässigen Wettbewerbsvorteil.  Wenn der ZOOM-Client eingesetzt wird und das Meeting nicht aufgezeichnet wird, werden gemäß der Aussage von ZOOM alle Inhalte verschlüsselt und nicht mitgeschnitten.

Die Pädagogischen Hochschulen Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Wien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, die Private Pädagogische Hochschule Edith Stein, die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik und die Virtuelle Pädagogische Hochschule verwenden die PRO-Version von ZOOM. Selbstverständlich wurden und werden auch künftig alle Maßnahmen ergriffen, um einen “datenschutzfreundlichen” und sicheren Einsatz sicherzustellen. Das erfolgt durch

  • Abstimmung mit den Datenschutzansprechpersonen der Hochschulen
  • Schulung der Mitarbeiter*innen, Bereitstellung von Anleitungen, regelmäßige Information der Kolleg*innen über vorhandene Updates
  • Vorgabe von sicherheitsrelevanten Einstellungen (Passwort, Warteraum, etc.)
  • Maßvoller Einsatz der Aufnahmefunktion, insbesondere nur bei Einwilligung von Lehrenden und Lernenden

Anforderungen an Distance Learning

Es mutet kontraproduktiv an, wenn auf der einen Seite Distance Learning zu Recht massiv eingefordert wird, und im gleichen Atemzug basierend auf unreflektierten Datenschutzvorwürfen die dafür notwendigen Plattformen verboten bzw. diskreditiert werden (und zwar basierend auf Medienberichten).

Die Pädagogischen Hochschulen haben in kürzester Zeit reagiert und – unter anderem durch den Einsatz von ZOOM – einen regulären Lehrbetrieb und damit auch ein “verlustfreies” Studieren für die Studierenden ermöglicht.

Das war nur unter enormen Einsatz der verantwortlichen Personen und der Mitarbeit der Dozierenden und des Verwaltungspersonals möglich. So wurden innerhalb von Tagen hunderte Personen in der Nutzung der Software geschult, tausende Meetings in den letzten Wochen abgehalten, Anleitungen und Hilfestellungen erstellt, unzählige E-Mails, persönliche Telefonate, Beratungen und Gespräche geführt. Entsprechende Meldungen in den Medien, unterstützt durch die Formulierungen auf der BMBWF Website, konterkarieren diese Bemühungen.

Sowohl an den Hochschulen als auch an zahlreichen Schulen versuchen derzeit aus dem Home-Office viele Tausende von Lehrenden einen Studien- und Schulbetrieb aufrecht zu erhalten, und zwar überwiegend auf privat finanzierten Geräten und über die private Internetverbindung, mit der Software und Plattformen von verschiedenen Anbietern, da die vom BMBWF dafür bereit gestellten Angebote allein nicht ausreichen.

Fazit

Zusammenfassend schlagen wir vor, mit Hinweis auf die vom Anbieter im Sinne des Datenschutzes getätigten Korrekturen sowie auf deeskalierende Stellungnahmen unabhängiger ExpertInnen (s.o.) die Warnung vor dem Einsatz von ZOOM auf Ebene des Ministeriums zurückzunehmen und die Bildungsdirektionen diesbezüglich zu informieren. Es ist nachvollziehbar, dass in der ersten Zeit der Corona-Krise schnell gehandelt werden musste. Dabei entstehen verständlicherweise auch vorübergehende (Fehl-)Einschätzungen, die in weiterer Folge laufend überdacht werden sollten – siehe beispielsweise das Statement aus der Schweiz.

Ein expertisegestütztes Government, insbesondere im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, sollte in der Lage sein, sich im Licht einer umfassenderen Betrachtung gegebenenfalls neu zu positionieren. Da ZOOM im Augenblick das aus didaktischer Sicht am besten geeignete und damit in der Krisensituation auch am dringendsten benötigte Werkzeug ist – wie auch die intensive Nutzung zeigt –  geht es aus unserer Sicht nicht darum, Warnungen auszusprechen, sondern klare Bedingungen zu skizzieren, die auf den Einsatz jeder Kommunikationssoftware anzuwenden wären.

Wir weisen darauf hin, dass die in der eingangs zitierten Veröffentlichung des BMBWF genannten Bedingungen an Pädagogischen Hochschulen an allen betreffenden Standorten gegeben sind. Dafür zu sorgen, dass auch Bildungsdirektionen und Schulen diese Bedingungen erfüllen können, insbesondere durch die Aushandlung eines Rahmenvertrags mit dem Anbieter sowie durch Bereitstellung von Mitteln und Expertise, könnte ein nächster sinnvoller Schritt in der krisenbedingt beschleunigten Digitalisierung des Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs sein. Die E-Learning Strategiegruppe der Pädagogischen Hochschulen (PHeLS) bietet dafür gern ihre Mitarbeit und Unterstützung an.

E-Learning-Strategiegruppe der österreichischen Pädagogischen Hochschulen (PHeLS)
23. April 2020, www.phels.at

Ansprechpartner für Rückfragen:
Klaus Himpsl-Gutermann (klaus.himpsl-gutermann@phwien.ac.at)

Die E-Learning Strategiegruppe der Pädagogischen Hochschulen Österreichs arbeitet im europäischen Kontext an einem gemeinsamen Bewusstsein, um E-Learning als Potenzial des kollaborativen und personalisierten Lehrens und Lernens in allen Bereichen der Aus-, Fort- und Weiterbildung für das österreichische Schulwesen zu verbreiten.

Die Pädagogischen Hochschulen Österreichs entsenden im Wege der Nominierung durch das Rektorat zwei Vertreter/innen, wobei Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildung gleichermaßen abgedeckt sein sollen. Für die Arbeitsfähigkeit der Gruppe zeichnet eine organisatorische Leitung verantwortlich, die zyklisch zwischen den Bundesländern im Westen, Norden, Osten und Süden wechselt.